KW40: Aufruhr im Clubhouse
Was wir in europäischen Tech Szene aus den Debatten um Clubhouse und Coinbase lernen können. Außerdem: Palantir & Asana an der Börse, Fast 20.000 Amazon Mitarbeiter positiv auf Corona getestet
Falls Du das hier liest und noch kein Email Subscriber bist…
Einen Post dieser Art sende ich jede Woche raus - trag deine Email hier ein, um mit dabei zu sein:
Happy Friday! 👋
Diese Woche ist in den USA vor allem von politischen Diskussionen geprägt. Das fing an mit der ersten Fernsehdebatte zwischen Donald Trump und Joe Biden am Dienstag Abend. Seit heute Morgen kommt nun noch dazu, dass Donald Trump und seine Frau positiv auf das Corona Virus getestet wurden. Und schon fängt die Gerüchteküche an zu brodeln:
Ich möchte hier weniger auf politisches Tagesgeschehen eingehen - das machen schon genügend Andere.
Dennoch waren auch in der Tech Szene diese Woche zwei quasi-politische Themen bestimmend. Diese bieten einen spannenden Einblick, gerade weil solche Diskussionen in der europäischen Startup- und Tech Landschaft eher selten sind:
Clubhouse und die ewige Diskussion um Plattform Content Moderation
Vorweg - es gibt zwei Tech Firmen mit dem Namen “Clubhouse”. Es geht bei dieser Story um die Social Audio App, nicht die Projekt Management Software.
Am Montag, ausgerechnet Yom Kippur - dem höchsten jüdischen Feiertag - kam es zu Empörung um antisemitische Äußerungen in einer Diskussion auf Clubhouse.
Es gab hierzu, außerhalb von Twitter, kaum Berichterstattung, daher ist es schwer nachzuvollziehen, was genau geschehen ist.
Trotzdem bietet der Vorfall die Chance sich ein wenig mit der Problematik um die Moderation von ‚User-Generated-Content‘ zu beschäftigen.
Und außerdem ist Clubhouse durchaus eine der aktuell am meisten gehypten Firmen im Valley. Also von vorne:
Was ist Clubhouse?
Clubhouse ist eine neue, und noch nicht öffentlich zugängliche, Social App, auf der -vereinfacht gesagt - “Live Podcasts” stattfinden.
Nutzer erstellen Räume zu einem bestimmten Thema und können sich darin unterhalten (Audio only) - andere Nutzer können diesem Gespräch dann als Zuhörer beiwohnen.
Die App ist vor allem in der Tech Szene im Silicon Valley beliebt und hatte sich als Insider Tipp während des Quasi-Corona-Lockdowns etabliert - in gewisser Weise als Ersatz für Diskussionen, die sonst u.a. auf Konferenzen geführt worden wären.
Die Gründer, die zuvor u.a. bereits ein anderes Startup an Pinterest verkauft hatten, schafften es durch eine Kombination aus Geheimhaltung und einem exklusiven Beta Nutzer Kreis, einen Riesen Hype aufzubauen. Der Hype war so groß, dass es nahezu einen Kampf darum gab, welche Investment Firma die Series A Finanzierungsrunde anführen dürfe.
Schlussendlich machte Andreesen Horowitz das Rennen und investierte Berichten zufolge $10M bei einer $100M Bewertung. All das wohlgemerkt, bevor die App im App Store zu finden war, geschweige denn überhaupt eine Website hatte.
Inzwischen ist die App verfügbar, anmelden und einloggen können sich aber immer noch nur eingeladene Nutzer. Trotzdem hat die App wohl mittlerweile ein paar Tausend Nutzer - fast ausschließlich in den USA und fast ausschließlich aus der breiter gefassten Tech Szene.
Was ist passiert?
Die grobe Story lautet so: Ein User eröffnete am Montag Abend einen Raum zum Thema „Anti-Semitism and Black Culture". In der Diskussion, in der zeitweise wohl mehr als 300 Zuhörer waren, kamen laut Aussage mehrerer Hörer schnell typische antisemitische Klischees zur Sprache, die dann aber weiter mit der Debatte um Rassismus verstrickt wurden: Unter anderem seien Juden über ihre angeblich systemischer Verflechtungen mit den weltweiten Finanzsystemen mit Schuld an der Unterdrückung von Schwarzen in kapitalistischen Systemen.
Dass solche Aussagen absolut unakzeptabel, verletzend und nicht zu letzt, faktisch falsch sind, sollte hier nicht weiter erwähnt werden müssen.
Schon vor ein paar Monaten war es zu einem ähnlichen Vorfall gekommen. Die New York Times Tech-Journalistin Taylor Lorenz hatte sich über Diffamierung und Diskriminierung in einer Konversation beschwert.
Damals ging es nicht um Antisemitismus, sondern um das Spannungsverhältnis der Tech/VC und der Medienszene.
Was im Detail geschehen ist, lässt sich bei einer solchen ‚geschlossenen‘ App im Nachhinein schlecht nachvollziehen. Und ohne Audio-Mitschnitte (diese sind in manchen US-Staaten ohne die Einwilligung der Aufgezeichneten illegal) gibt es auch keine harten Beweise.
Wo endet Kontrolle, wo beginnt Zensur?
Interessant ist die Debatte dennoch. Denn der zentrale Vorwurf lautet: Clubhouse moderiert seine Inhalte nicht gut genug.
Bzw. allgemeiner: Als Betreiber einer Plattform ist man mit-verantwortlich für den von Nutzer generierten Content.
Und eben dieser Vorwurf ist nicht neu, die Verantwortlichen in den Chefetagen von Twitter, YouTube, Facebook und co. kennen ihn sehr gut.
Es gibt dabei zwei Ebenen - einerseits geht es darum, ob Plattformen für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer verantwortlich sind (Das ist bei Clubhouse quasi kein Thema, da es um live aufgenommene Gespräche geht).
Andererseits geht es darum, wie stark eine Plattform, die Inhalte der Nutzer moderieren und ggf. zensieren sollte.
Und bei diesem zweiten Punkt gibt es dann wiederum zwei Ebenen - die Kontrolle von nachweisbar illegalen Inhalten und die Kontrolle von Inhalten auf Basis von typischen moralischen Grundsätzen.
Der erste Punkt ist noch recht trivial, wenn auch in der Umsetzung sehr komplex. Beim zweiten Aspekt wird es schnell kompliziert.
Denn: Wer legt fest, was richtig und was falsch ist? Welche moralischen Grundsätze sollten das Maß sein?
Auch Clubhouse hat eine Reihe selbst festgelegter Community Guidelines. Dazu gehört auch ein Anti-Diskriminierungsparagraph. Und bei Clubhouse gibt es zumindest jeweils pro Raum einen Moderator, der die klare Aufgabe hat, auch auf die Einhaltung der Guidelines zu achten.
Doch selbst in so einem System lassen sich Vorfälle, wie die oben beschriebenen, nicht verhindern.
Letztendlich wird keine Plattform jeden Inhalt perfekt und zur Zufriedenheit aller moderieren können - und bei sehr großen Plattformen wie Twitter und Facebook stellt sich zudem die Frage: Wollen wir als Gesellschaft die Entscheidung über richtig und falsch wirklich alleine den Plattformbetreibern selbst überlassen?
Fazit - Totgesagte leben länger
Ein vermeintlich kleiner Vorfall - ein großes Thema. Natürlich sollte Antisemitismus und Diskriminierung jeder Form keinen Raum haben - nicht auf Clubhouse und auch nirgendwo anders. Die Realität sieht leider oft anders aus.
Manche sagen, der Hype um Clubhouse sei damit vorbei. Ich glaube das nicht.
Im Gegenteil - vielleicht ist es für eine noch junge Plattform gerade gut, schon in der frühen Phase mit den schwierigen Themen konfrontiert zu sein. So gibt es in einer Zeit, in der Pivots und Anpassungen noch einfach sind, die Möglichkeit, die eigenen Regeln zu schärfen, bessere Ressourcen für die eigenen Moderatoren zur Verfügung zu stellen, und vor allem: seine Haltung zu entwickeln.
Ich glaube wir werden in Zukunft noch viel Spannendes von und hoffentlich auch auf Clubhouse hören.
Coinbase: ‘Leave your politics at the door’ policy
Am Sonntag veröffentlichte der Coinbase Gründer und CEO, Brian Armstrong einen Post auf Medium, der sich vor allem an die eigenen Mitarbeiter richtete.
Die Kernaussage darin: Coinbase soll fortan eine Firma sein, die sich zu 100% auf die interne Mission (“Our mission is to create an open financial system for the world”) konzentriert. Andere Themen, vor allem gesellschaftliche und politische sollen und dürfen im Arbeitsalltag keine Rolle mehr spielen:
Broader societal issues: We don’t engage here when issues are unrelated to our core mission, because we believe impact only comes with focus.
Political causes: We don’t advocate for any particular causes or candidates internally that are unrelated to our mission, because it is a distraction from our mission. Even if we all agree something is a problem, we may not all agree on the solution.
Armstrong ist, nach eigener Aussage in dem Post, vollkommen bewusst, dass seine Aussagen kontrovers diskutiert werden, und auch, dass einige Mitarbeiter nicht mehr bei Coinbase arbeiten wollen werden.
In einem Folge-Post hat er für eben diese ein, meiner Meinung nach sehr großzügiges, Abfindungspaket angekündigt: Jeder Mitarbeiter, der aufgrund des neuen Firmenkurses gehen möchte bekommt 4-6 Monate Gehalt ausgezahlt.
Wie erwartet führten die Ausführungen zu sehr unterschiedlichen Reaktionen:
Die USA sind ein politisch, und zunehmend auch gesellschaftlich, tief gespaltenes Land. In diesem Wahljahr wird das ganze einserseits ganz natürlich noch einmal verstärkt, andererseits gab es leider wieder viele Anlässe, die Proteste und Gegenproteste befeurten.
Man kann Armstrong’s Aussagen einerseits auf die generelle politische Lage und die Frage Trump vs. Biden beziehen. Andererseits hat das Ganze wohl auch viel mit der “Black Lives Matter” Bewegung zu tun.
Anfang Juni tweetete Armstrong “I want to unequivocally say that Black Lives Matter.”. Einigen Mitarbeitern kam diese Aussage allerdings zu spät, da sich viele andere Tech Firmen schon Tage vorher klarer zu BLM positioniert hatten. Internen Gerüchten zu Folge kam der Tweet nur als Last-Minute Reaktion darauf, dass einige Mitarbeiter einen Streik ausgerufen hatten und Armstrong sie, auch auf Druck seiner Kollegen, mit dem Tweet besänftigen wollte. Sein Post jetzt sei sozusagen die “Rache” für diese Vorfälle.
Und jetzt?
Mir fällt es bei dem Thema, ob Armstrong mit seiner Meinung Recht hat, sehr schwer, mich zu positionieren. Einerseits denke ich auch - private Firmen sind eben in sich selbst “keine Demokratie”. In Theorie hat jeder die freie Wahl sich für eine Firma zu entscheiden, deren Haltung er/sie mit den eigenen moralischen Vorstellungen vereinbaren kann. Und: Wenn ein Gründer wirklich davon überzeugt ist, dass die Firmenmission der beste Weg ist die Welt ein Stück besser zu machen (ja, ich weiß wie das klingt), dann ist es aus meiner Sicht auch in Ordnung zu verlangen, dass sich die Mitarbeiter in ihrer Arbeitszeit mit voller Konzentration auf diese Mission konzentrieren.
Andererseits stimme ich aber der Aussage von Dick Costolo komplett zu - keine Firma existiert im Vakuum, sondern ist, ganz natürlich ein Produkt und ein Teil jeder Gesellschaft, in der sie agiert. Man kann aus gesamtgesellschaftlicher Sicht durchaus von Firmen und Gründern verlangen, dass sie neben ihrer internen Mission auch das Wohl der Gesellschaft im Blick haben. Politische und gesellschaftliche Diskussionen sind da eine wichtige Grundlage.
Es ist aber wohl auch klar, dass die aktuelle politische Lage der USA nur schwer die Grundlage für normalen politischen Diskurs bietet.
Teile Deine Meinung
Gerade weil es mir hier so schwer fällt, eine klare eigene Meinung zu formulieren, würde ich mich freuen, auch Deine Gedanken zu hören.
Findest Du die Aussagen von Brian Armstrong richtig?
Antworte einfach auf diese Mail oder kommentiere unter dem Post.
Was sonst noch geschah..
Palantir und Asana sind beide am Mittwoch an die Börse gegangen, - nein, nicht per SPAC - aber auch nicht mit einem ganz normalen IPO, sondern per Direct Listing. Einer Form des Börsengangs, die u.a. Spotify wieder beliebter gemacht hat. Gerade Palantir ist eine sehr spannende Firma, nicht zuletzt weil bisher sehr wenig über sie bekannt war. Ihnen werde ich mich in einer der kommenden Ausgaben näher widmen.
Fast 20.000 Amazon Mitarbeiter wurden seit Beginn der Pandemie positiv auf das Corona Virus getestet. Was zunächst nach einer sehr hohen Zahl klingt, muss man ein wenig einordnen - denn das sind a) “nur” 1,44 Prozent der “front-line” workers (Amazon beschäftigt davon 1.372.000) und b) sind es nur 60% der Fälle, statistisch aufgetreten wären, wenn man die Mitarbeiterzahlen auf die Fälle in der Bevölkerung hochrechnet.
Danke für’s Lesen! Wenn dir dieser Post gefallen hat und du glaubst, er könnte auch deinem Netzwerk gefallen, freue ich mich, wenn du ihn weiterleitest oder auf LinkedIn, Twitter und co. teilst:
Beste Grüße und bis nächste Woche!
Robbie
Image Credits:
- Clubouse Screenshot - App Store / Clubhouse