KW42: Sex, Drogen, Politik & Journalismus
Warum ein E-Mail Leak mit anrüchigen Videos die US Wahl entscheiden könnte und was das Ganze mit Facebook & Twitter zu tun hat.
Falls Du diesen Satz liest und noch kein Email Subscriber bist…
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Happy Friday! 👋
I hope you’ve been staying positive and testing negative!
(das war meine bisherige Lieblings-E-Mail Anrede in 2020)
Man sagt ja immer Intros sollen catchy sein - der einzige Zweck den sie erfüllen müssen, ist den Leser dazu zu bringen weiterzulesen….
Nun gut: Im folgenden Text geht es um Sex, Crack-rauchende Politikersöhne, und heimliche Videoaufnahmen davon.
Catchy genug?
Aber im Ernst - ein kleiner Disclaimer vorab: Im heutigen Newsletter wird es zunächst ein bisschen politisch - dann hat das Ganze aber schnell doch sehr viel mit Tech zu tun und bietet mal wieder einen guten Anlass über das Verhältnis von großen Technologiefirmen, der Gesellschaft im Allgemeinen und spezifisch dem Journalismus zu sprechen.
Viel Spaß beim Lesen.
Nach Hillary 2016, hat jetzt auch Joe Biden ein E-Mail Problem
Twitter und Facebook haben das Weiterverbreiten eines Artikels über Joe Biden’s Sohn eingeschränkt oder sogar ganz verboten und technisch ausgeschlossen. Dafür werden sie von manchen gefeiert, von anderen aber auf’s Schärfste kritisiert.
Das Ganze ist nicht nur eine politisch brisante Story, sondern erlaubt auch einen spannenden Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen den großen Tech Plattformen, Regierungen und der Gesellschaft. Und es gibt auch aus meiner Sicht viele offene Fragen zu dem Thema, die uns auch hier in Europa in den kommenden Jahren mehr beschäftigen werden.
Aber von vorne
Mit nicht mal mehr 3 Wochen bis zum 03. November befinden wir uns in der heißen Phase vor der US Präsidentschaftswahl, und damit auch in der anfälligsten Phase für Wählermanipulation.
Man kann davon ausgehen, dass immer noch viele Wähler unentschieden sind, für wen sie stimmen. Viele haben zwar vielleicht schon eine Meinung, halten diese aber ohne große Überzeugung. Gerade in den sogenannten Swing States - den Bundesstaaten, die nicht über eine klare historische Linie als typisch Republikanisch oder Demokratisch verfügen - können auch kleine Wählerbewegungen den entscheidenden Ausschlag geben. Und da das US-Wahl System das Präsidentenamt nicht nach der Anzahl der Einzelstimmen, sondern mit einem Wahlmänner-System vergibt, können einzelne Staaten dann wiederum die Wahl “entscheiden”.
Unter anderem deswegen gebe ich nicht viel auf die aktuellen “Prognosen”, die Joe Biden einen sicheren Wahlsieg voraussagen. Es sei hier nur erwähnt, dass auch 2016 für Hillary Clinton noch Tage vor der Wahl in nahezu allen Umfragen deutlich vor Donald Trump lag…
Es ist also eine ganz besondere Zeit, in die ein Report der New York Post über Joe Biden’s Sohn Hunter hineinplatzt. Und wie anzunehmen, hat die Geschichte viele Facetten. Lasst uns also mal versuchen das Ganze außeinanderzunehmen:
Die Backstory
Hunter Biden war ab 2014 als Anwalt u.a. für den ukrainischen Gas-Konzern Burisma tätig. Parallel dazu war sein Vater als Vizepräsident der USA unter anderem zuständig für Anti-Korruptionsbemühungen in der Ukraine.
Beide haben stets betont, dass sich ihre jeweiligen Funktionen weder inhaltlich überschnitten haben, noch vor allem Hunter den Posten seines Vaters in irgendeiner Weise für seine Tätigkeit genutzt hat.
Genau dies war aber u.a. der Anlass für Donald Trump, Druck auf Ukrainie auszuüben, ein Verfahren gegen Joe Biden einzuleiten, was die “Ukraine Affäre” und später dann das Trump Impeachment in Gang brachte.
Seitdem dachte man eigentlich es wäre ein Haken hinter der Sache. Dann veröffentlichte die New York Post am Mittwoch einen Artikel, in dem sie angebliche Beweise vorlegten, dass Hunter Biden eben doch z.B. Treffen von ukrainischen Unternehmern und Joe Biden arrangiert haben soll. Die Beweise, die vorgelegt werden, bestehen vor allem aus E-Mail Auszügen. Diese wurden auf einem MacBook gefunden, dass Hunter Biden zur Reperatur in einen kleinen Computer Shop gebracht haben, dann aber nie abgeholt haben soll.
Ganz nebenbei wurden auf dem Laptop wohl auch noch Fotos gefunden, die Hunter Biden beim Sex und beim Drogenkonsum zeigen. Auch einen Ausschnitt aus diesen Bildern veröffentlichte die New York Post. (Ich hab ja versprochen, das das Thema eine Rolle spielt.)
New York Post - das Gucci mit drei C
Ich verlinke hier ganz bewusst nicht zum Artikel, denn noch ist auf jeden Fall nicht auszuschließen, dass es sich bei der Story um “Fake News” handelt, die sehr bewusst genau jetzt, knapp vor der Wahl veröffentlich wird.
Man muss erst mal verstehen, dass die New York Post zwar sehr ähnlich klingt, aber so gut wie nichts mit der bekannten Publikation New York Times zu tun hat. Ein schönes Zitat, was ich hierzu (in einem Clubhouse Raum) gehört hab:
wäre die New York Times der echte Gucci Gürtel - wäre die New York Post so etwas wie der gefälschte Guccci Gürtel mit drei “C” den man für 7,50€ in einem Hinterhofshop kaufen kann.
Die Post ist ganz einfach gesagt ein konservatives Klatschblatt.
Hunter’s verlorenes MacBook
Glaubt man der Version der NY Post, haben diese eine Kopie der Dateien des MacBooks (und einer Festplatte) von Rudy Giuliani (der früherer New Yorker Bürgermeister, enger Freund von Trump und auch tief in die Ukraine Affäre verwickelt) erhalten.
Der wiederum hatte Kopien wohl schon Ende letzten Jahres erhalten - vom Besitzer des Reperatur Stores, wo ihn Hunter Biden angeblich abgegeben, aber nie abgeholt hatte. Nachdem eine Kopie an Rudy Giuliani gegangen war, gab der Shop Besitzer MacBook und Festplatte an das FBI. Das alles geschah im Dezember 2019.
Falls euch die Story hier schon “fishy” vorkommt - no worries, mir auch.
Was hat das ganze jetzt mit Tech zu tun?
Und auch wenn die Vorrede nun ein wenig lang war - das Ganze hat noch ein wenig mehr mit Tech zu tun, als dass ein MacBook drin vorkommt. Versprochen.
Denn jetzt kommen unsere alten Bekannten in’s Spiel: Twitter und Facebook.
Nachdem die Story veröffentlicht wurde, und anfing ihre Runden auf den beiden Plattformen zu machen reagierten beide schnell - leicht, aber bedeutend anders.
Facebook erklärte, die Reichweite der Story anzupassen, bzw. so einzuschränken, dass sie von Algorithmen keinen Push bekommt, während die Story einem externen Faktencheck unterworfen wird.
Twitter ging einen deutlichen Schritt weiter, blockierte Posts mit Bezug zu der Story, und verhinderte technisch, dass man den Link zur Story posten, oder auch nur in einer Direct Message versenden kann. All das zunächst, ohne diese Schritte wirklich zu erklären. Für diesen Vorgang entschuldigte sich Twitter CEO Jack Dorsey dann auch im Nachgang.
Twitter bleibt aber dabei, dass das Teilen der Story nicht möglich ist.
Worauf beziehen sich Facebook und Twitter?
Man muss verstehen - Inhalte einer großen reichweitenstarken Publikation zu blockieren (die “Qualität” der Publikation spielt hier zunächst keine Rolle) mag wie eine simple Handlung wirken, ist jedoch ein drastischer Eingriff. Wie begründen die Plattformen diesen Schritt also?
Aus der Facebook Nachricht kann man herauslesen, dass es ihnen vor allem um den Wahrheitsgehalt des Berichts geht. Also das alt-bekannte “Fake-News” Problem.
Twitter ist in seiner Erklärung konkreter und bezieht sich auf zwei eigene Policies: die Private information policy und die Distribution of hacked material policy.
Erstere bezieht sich darauf, dass in dem Bericht und zugehörigen Screenshots private Informationen, u.a. auch E-Mail Adressen und Telefonnummern zu sehen sind. Letztere bezieht sich darauf, dass der Inhalt der Screenshots und die privaten Fotos aus ihrer Sicht “hacked Material” darstellen - es gab zu keiner Zeit die Einwilligung der Betroffenen, Daten aus dem MacBook und der Festplatte in irgendeiner Weise zu vervielfältigen.
Das Ganze klingt doch ganz schlüssig, oder?
Zunächst will ich da eigentlich zustimmen. Wie schon erwähnt, klingt der Ganze Hergang der Story “fishy”. Wie kann man sichergehen, dass die E-Mails, in denen such u.a. ein ukrainischer Unternehmer für das arrangierte Treffen mit Joe Biden bedankt, echt sind? Könnten die privaten Fotos, die zumindest auf den ersten Blick echt erscheinen, auch aus ganz anderen Quellen gekommen sein und quasi als trojanisches Pferd genutzt werden, um die E-Mail Story auf “glaubhafte” Weise einzuschläusen?
Für mich ist, auch nach Lesen des New York Post Artikels, zumindest klar, dass all das weiterer Untersuchung bedarf, der Artikel selbst hält sich mit nachprüfbaren Beweisen sehr zurück (Es ist halt auch nur ein Klatschblatt).
Facebook hat hier also eigentlich gut reagiert, oder? Spätestens seit 2016 wurde ja auch immer wieder der Vorwurf formuliert, dass sie zu wenig gegen die Verbreitung von Fake News tun.
Und auch die Twitter Policies wirken erst ein mal plausibel - auch als in der Öffentlichkeit stehende Person hat man ein Recht auf Privatsphäre. Und auch, dass Twitter grundsätzlich nicht unterstützt, dass aus Hacks stammender Content über die Plattform verbreitet wird, wirkt sinnvoll.
Aber
Wie in einer eintrainierten Choreographie rufen die Republikaner gerade laut: ZENSUR! Ted Cruz nennt das Vorgehen von Facebook und Twitter einen Eingriff in die Wahl und hat angekündigt, Mark Zuckerberg und Jack Dorsey in der kommenden Woche im US Kongress vorladen zu wollen.
Versuchen wir unsere politische Meinung mal für einen Moment beiseite zu stellen - kann man das Vorgehen von Twitter und Facebook pauschal gutheißen?
Mir fällt das, je mehr ich mich damit beschäftige, schwer. Denn - auch wenn ich zustimme, dass die Plattformen in der Pflicht sind, ihren Teil zum Kampf gegen Fake News, Bots, Hassbotschaften & co. beizutragen, frage ich mich, wie weit wir dabei gehen wollen, diese Macht komplett bei ihnen zu lassen.
Ist es richtig, dass wir Twitter & Facebook die Entscheidung darüber überlassen, welche Artikel welcher Zeitung geteilt werden dürfen?
Es ist dabei schwer, die eigene politische Meinung und den eigenen Anspruch an Qualität von Journalismus zunächst hinten anzustellen. Aber das muss man tun, um die Lage objektiv einzuschätzen - und dann wird es schnell kompliziert. Denn stimmt man z.B. zu, dass Facebook zunächst die Quellen der Medien überprüft, die Artikel auf Facebook veröffentlichen, dann hätte man auch verlangen müssen, dass sie die kürzlich erschienene Story der New York Times zu den Steuerunterlagen von Trump zunächst einschränken und überprüfen.
Ja - auch aus meiner Sicht ist die Times vertrauenswürdiger, aber heißt das automatisch und immer, dass ihre Quellen die Wahrheit sagen? Und auch Twitter’s Policy könnte da schnell in die Quere kommen - denn könnten nicht auch die Steuerunterlagen als “hacked material” eingestuft werden.
Erhöhen wir die Macht der Tech Plattformen dahin, zu entscheiden, welche Art von Journalismus richtig und falsch wird, wird es schnell gefährlich - It’s a slippery slope to walk on.
Wer Problem sagt, muss auch Lösung sagen
Ich mag es eigentlich nicht, Dinge anzukreiden, aber keine konkreten Vorschläge für eine Lösung zu liefern.
Ich versuche das jetzt einmal, stelle aber vorab fest, dass ich hier noch längst kein finales Meinungsbild habe.
Immer dann, wenn eindeutige Gesetze gebrochen werden, ist es Mit-Aufgabe der Plattformen, dafür zu sorgen, dass sie nicht für den Gesetzesbruch genutzt werden. Ein Beispiel: In Deutschland ist es verboten, den Holocaust zu leugnen. Geschieht dies auf Twitter durch einen Deutschen Account, ist es richtig und notwendig, dass Twitter gegen diesen Inhalt vorgeht.
Für die anderen Probleme, z.B. dass eine Zeitung indirekt oder direkt versucht auf eine Wahl Einfluss zu nehmen, indem sie eine dubiose Story veröffentlicht, brauchen wir andere Lösungen.
Hier kann und darf es nicht Aufgabe der Tech-Plattformen sein, über gut und böse zu entscheiden.
Es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, und die der von uns gewählten Politiker, für solche Themen, Lösugen zu entwerfen. In manchen Ländern gelten z.B. “Election Silence” Regeln, die Berichterstattung über eine Wahl in einem gewissen Zeitraum davor per Gesetz, oder per "Ehrenkodex” untersagen.
Fake News werden wir nie vollständig technisch verhindern können, aber wir können z.B. durch bessere Medienbildung in Schulen und Universitäten dafür sorgen, dass wir alle ein sensibleres Gespür dafür bekommen.
Und dann gibt es in unseren westlichen Demokratien eben auch noch die Judikative - Gerichte, Richter und Anwälte, die im Zweifel auch Eilentscheidungen treffen können, um z.B. die Verbreitung einer Fake Story zu stoppen.
Belassen wir die Entscheidung allein bei den Plattformen, kapitulieren wir meiner Meinung nach vor unserem eigenen System.
Über die Antifragilität von zensierten Nachrichten
Und ganz unabhängig von all diesen Überlegungen bleibt bei dem Ganzen sowieso ein fader Beigeschmack. Denn ich frage mich, ob die Maßnahmen von Facebook und Twitter nicht am Ende ihren Zweck, die Verbreitung der Story einzuschränken, nicht nur verfehlen, sondern das Ganze sogar noch schlimmer machen.
Wie viel der Aufmerksamkeit, die jetzt auf dem Thema liegt, kommt erst, weil darüber geschrieben wird, dass es “verbannt” wurde?
In eigener Sache
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Was sonst noch geschah..
Apple hat neue iPhones vorgestellt - wer das nicht sowieso schon mitbekommen hat, den interessiert wahrscheinlich auch wenig, was ich dazu zu sagen hätte. Ich mach’s trotzdem: Ich bin ein treuer Fan der meisten Apple Produkte, die neuen iPhones begeistern mich aber nicht. Das liegt aber weniger an Apple, als dass ich langsam denke das Smartphone Spiel ist durchgespielt. Wann kommt die nächste wirklich spannende Produktkategorie?
Twilio kauft Segment für $ 3,2Mrd. - und ist jetzt mit knapp $ 38 Mrd. bewertet. Ein Riese, den viele so gar nicht auf dem Schirm haben. Twilio, die zuvor u.a. Sendgrid übernommen hatten, wird durch den Kauf des Customer Data API Anbieters Segment zu einem immer spannenderen Spieler im Markt der “Tech-Enabler”, die vor allem im Hintergrund die Strippen ziehen.
Danke für’s Lesen!
Beste Grüße und bis nächste Woche!
Robbie
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Twitter Screenshot - self