Startups und die AI-Wertschöpfungskette
Haben AI-first Startups eine echte Chance gegen etablierte Unternehmen?
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Der Startup Markt hat sich in den vergangenen Monaten stark abgekühlt. Doch alles, was mit dem Thema AI zu tun hat, entgeht diesem Trend. Es vergeht kaum ein Tag, an dem in der Tech Presse nicht die Gründung oder Finanzierung eines neuen AI Startups angekündigt wird.
Die Produkte und Tools dieser neuen AI Startups sehen oft eindrucksvoll aus. Und doch muss man sich die Frage stellen: Haben sie wirklich eine Chance gegen die großen etablierten Spieler?
Letzte Woche habe ich in diesem Newsletter darüber geschrieben, dass AI Technologie gerade so zugänglich wird, wie nie zuvor. Das bedeutet natürlich einerseits, dass es in den letzten Jahren deutlich einfacher geworden ist, ein AI Startup zu gründen - die Rechenkapazität kommt von Google, AWS & co., die Al-Algorithmen per API von OpenAI oder stehen einfach Open Source zur Verfügung, wie z.B. bei Stable Diffusion.
Aber andererseits bietet diese Zugänglichkeit natürlich nicht nur Startups neue Chancen, sondern steht auch allen großen und etablierten Firmen zur Verfügung.
Und diese großen Firmen haben darüberhinaus typischerweise einige Hebel, die Startups nicht automatisch zur Verfügung stehen:
Bestehende Kundenbeziehungen
Kapital
Proprietäre Daten
Diese sind allerdings nur dann Hebel, wenn sie auch als solche eingesetzt werden. Die etablierten Firmen stehen hier vor dem klassischen Innovator’s Dilemma.
Bei den vorherigen großen Technologie-Shifts der letzten 20 Jahre gab es immer Beispiele auf beiden Seiten der Erfolgsmedaille. Teilweise konnten Startups, die z.B. von vorne herein Mobile-First oder Cloud-First agiert haben und keine “Altlasten” mit sich schleppten, großen etablierten Firmen innerhalb weniger Jahre große Marktanteile abnehmen, oder sie sogar komplett stürzen.
Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch etliche Beispiele dafür, dass Startups, bzw. aufstrebende Firmen zwar durchaus beachtliche Erfolge erzielen können, am Ende aber doch keine Chance hatten, einen Markt zu gewinnen. Bestes Beispiel dafür aus den vergangenen Jahren ist Slack vs. Microsoft Teams:
Im heutigen Post vergleiche ich nicht das Rennen AI vs. Non-AI, sondern schaue mir an, wie das Wettrennen zwischen jenen Firmen aussehen wird, die von vorne herein auf AI setzen, oder zumindest radikal auf einen AI-first Ansatz umstellen und solchen, die AI nachträglich in ihre bestehenden Produkte und Geschäftsmodelle integrieren.
Die AI-Wertschöpfungskette
Um das gesamte Thema besser greifen zu können, sollte man zunächst ein Verständnis der Wertschöpfungskette bei AI Produkten und Firmen bekommen.
Ich finde die Definition von Evan Armstrong sehr treffend. Er beschreibt fünf überlappende Ebenen:
Compute (Rechenpower): Die Hardware-Infrastruktur (Chips, Server, GPUs, Rechenzentren), die benötigt wird.
Data: Die Daten, auf deren Basis AI-Algorithmen trainiert werden können.
Foundational Model: Die grundlegenden AI-Algorithmen & Modelle, z.B. GPT-3 und DALL ·E - komplexe mathematisch Modelle, die auf der Datenbasis trainiert wurden.
Fine-Tuning: Das zielgenaue zuschneiden/feinabstimmen von Modellen auf spezifische Anwendungsfälle und Szenarien.
End-Nutzer Zugangspunkte: Die Anwendungsebene auf der Nutzer mit einem AI Tool interagieren, z.B. APIs und GUIs.
Firmen und Produkte im AI Markt bewegen sich entweder nur auf einer, oder sogar quer über mehrere oder gar alle Ebenen.
Nun muss man noch unterscheiden zwischen Firmen, bei denen Künstliche Intelligenz den Kern des Geschäftsmodells bildet, und solchen, bei denen AI nur ein Tool zur Erfüllung eines anderen Zwecks ist.
Auch hier verläuft die Linie natürlich nicht immer trennscharf, und kann sich im Verlauf der Zeit wandeln.
Zu den Firmen, bei denen AI Kern des Geschäftsmodells ist, zähle ich z.B. solche, die entlang der Kette Services bieten - also z.B. OpenAI, die mit GPT & co. Foundational Modelle erschaffen haben und diese Modelle zusammen mit Fine-Tuning über eine API Nutzern zur Verfügung stellen.
Außerdem gehören dazu alle weiteren AI-Infrastruktur Anbieter, die z.B Data-Labeling, Fine-Tuning oder einfach nur Compute-Ressourcen bieten.
Außerdem würde ich auch solche Firmen dazuzählen, deren gesamter Value-Claim auf AI basiert. Also z.B. Tools wie Jasper, ein AI Content-Creation Tool, das Firmen die Erstellung von Marketing Texten, Emails & co. per erleichtert.
Firmen, die AI zwar stark in ihr Geschäftsmodell integrieren, bei denen es aber eher ein Mittel zum Zweck ist, sind z.B. RunwayML, ein AI-assisted Video Editing Tool, oder aber auch Tesla, die sich zwar selbst gerne als AI-Company sehen und deren Software wahrscheinlich wie bei keinem anderen Autohersteller von AI durchzogen ist, aber deren Geschäftsmodell zumindest aktuell noch das Bauen und Verkaufen von Elektro-Autos ist.
Wer gewinnt das AI-Rennen?
Ist ein Modell besser als das andere? Werden Firmen, die ihre Produkte von vorne herein AI-First aufbauen, auf jeden Fall die Nase vorn haben? Oder werden die etablierten Spieler durch den einfachen Zugang, AI einfach in ihre bestehenden Produkte integrieren und die neuen Spieler mit den oben genannten Hebeln aus dem Markt kehren?
Machen wir’s kurz: Pauschal wird sich das nicht beantworten lassen. Je nach Branche und individueller Marktsituation wird sich das ganz unterschiedlich gestalten.
Aber - ich möchte im Folgenden einige Schablonen vorstellen, die ich selber bei der Beantwortung der Frage für jeden Einzelfall anlege:
Wo in der Wertschöpfungskette agieren die Unternehmen und wie viele Ebenen decken sie ab?
Schaut man sich die oben beschriebene Wertschöpfungskette an, wird klar, dass Unternehmen, die weit hinten in der Kette agieren sehr stark von allen davor gelagerten Prozessen und Strukturen abhängig sind. Selbst wenn man das beste User-Frontend der Welt baut - wenn dahinter nur eine Anbindung an die OpenAI API liegt, ist die Position extrem fragil.
Neben der Position in der Value Chain ist auch wichtig anzuschauen, ob ein Unternehmen nur auf einer, oder gleich mehreren Ebenen agiert. Wenn ich als Unternehmen z.B. ein AI-Bildbearbeitungstool anbiete, ist meine Position deutlich besser, wenn ich auch Kontrolle über das zugrundeliegende Foundational Model habe, und noch besser, wenn ich sogar über eigene Daten verfüge, mit denen ich das Model trainieren und fine-tunen kann.
Bei der Bewertung ob ein Newcomer mit einem AI-first Ansatz eine Chance gegen einen etablierten Spieler hat, der lediglich AI nachrüstet, sollte man also genau darauf schauen auf welcher Basis beide agieren. Geschieht das Nachrüsten der AI zum Beispiel lediglich durch das Anbinden einer externen API, während der AI-first Spieler ein eigenes Modell auf Basis proprietärer Daten nutzt, hat Letzterer deutlich eher eine Chance für die Disruption des etablierten Modells, als wenn die Ausgangslage anders herum ist.
“If an AI tool is only improving or replacing an existing button on a productivity app, that AI company will lose.” - Evan Armstrong, Every.to
Ist das Produkt wirklich ein Produkt oder nur ein Feature?
Diese Frage ist immer sehr wichtig zu stellen, ganz unabhängig davon, ob es um AI geht oder nicht. Meiner Einschätzung nach sind viele Tools, die derzeit als “AI-Startups” auf dem Markt agieren, eigentlich nur Features, die in Zukunft nativ in bestehende Produkte integriert werden. Ein Beispiel dafür sind z.B. die unzähligen “AI-Summary”-Firmen, die mittels AI automatische Meeting-Summaries von Video Calls generieren. Das heißt nicht, dass man mit einem solchen Tool nicht erfolgreich sein kann. Man sollte sich nur bewusst sein, dass daraus wohl nicht unbedingt das nächste Unicorn wird, und außerdem, dass die eigene Position extrem angreifbar ist. Nichts spricht dagegen, dass Zoom, Teams, Google Meet und co. das in Zukunft ganz einfach als Feature in ihre Software integrieren - oder nutzt von euch noch jemand eine zusätzliche Software um den Video Call Hintergrund auszutauschen?
Ein AI-first Spieler kann also noch so schnell sein - wenn seine zentrale Value Proposition aus etwas besteht, dass für den etablierten Konkurrenten nur ein Feature ist, das er zu seinem bestehenden Modell hinzufügen kann, sieht es eher schwierig aus.
Kann das Produkt auch erfolgreich sein, wenn es nur von einzelnen in einer Firma genutzt wird und wie hoch sind die Nutzungsbarrieren?
All solche Tools, wie z.B. Kommunikations-Tools, CRMs und co. können nur dann Wert erzeugen, wenn sie nicht nur von einzelnen in einem Unternehmen, sondern am Besten von allen Mitarbeitenden genutzt werden. In diesen Situationen haben etablierte Spieler, die AI im Nachhinein in ihre Produkte integrieren einen enormen Vorteil gegenüber Startups.
Nehmen wir das Beispiel aus meinem Post von letzter Woche: Ein AI-CRM, dass sich automatisch an die Bedürfnisse der einzelnen Nutzer anpasst. Die Chancen stehen deutlich höher, dass Salesforce oder Hubspot mit einem solchen Produkt erfolgreich ist, als dass ein Startup es schafft, Firmen davon zu überzeugen, ihre gesamten Systeme auf ein neues CRM umzustellen, selbst wenn es noch so gut funktioniert. Die bestehenden firmeninternen Netzwerkeffekte der eingespielten Software-Tools bieten Startups in solchen Märkten einen enormen Gegenwind.
Bei Tools und Produkten, die nicht von solchen Netzwerkeffekten abhängig sind, und auch bei der Nutzung durch Einzelne Wert stiften können, sieht es ganz anders aus. Ein gutes Beispiel ist hier der eben erwähnte Video Editor RunwayML. Runway bietet eine moderne Browser-first und AI-first Video Editing Software. Das Tool kann Wert erzeugen, selbst wenn in einem Unternehmen nur ein einzelner Video-Editor das Tool benutzt.
Außerdem ist es durch seinen AI-first Ansatz deutlich weniger komplex in der Anwendung, als andere Tools wie Adobe Premiere oder Apple’s Final Cut Pro. Selbst unerfahrene Nutzer können mit Runway dank der eingebauten AI Tools schwierige Aufgaben meistern.
Dadurch ist die Eintrittsbarriere für das Ausprobieren des Tools extrem gering, während die Komplexität bei den etablierten Tools durch das Hinzufügen von AI Tools eher sogar noch steigt.
Die Kombination aus geringen Nutzungsbarrieren und dem Fakt, dass es schon bei einzelnen Anwendern in einem Unternehmen Wert erzeugt, sorgt im besten Fall dafür, dass das Tool “Bottom-Up”-viral geht, ohne das ein Unternehmen von oben die Entscheidung treffen muss, alle seine Prozesse umzustellen.
Erst probiert nur ein Video Editor das Tool aus und merkt, dass er damit schneller arbeiten kann als mit dem gewohnten After Effects. Schnell bemerken das seine Kollegen und probieren es auch aus - und so kann sich das Tool wie ein Lauffeuer durch ein Unternehmen bewegen. Ähnlich geschehen ist das in den letzten Jahren mit Figma - dem Design Tool, dass dank seiner Einfachheit und echtem Browser-First Ansatz in wenigen Jahren zum Marktführer wurde und dann für $20Mrd. von Adobe geschluckt wurde.
Übrigens - RunwayML ist meiner Meinung nach eine der spannendsten AI Firmen und eines der Beispiele für ein neues AI-first Startup, denen ich sehr hohes disruptives Potential zuschreibe. Warum? Unter anderem weil sie extrem tief in der Wertschöpfungskette verankert sind: Sie waren 2021 gemeinsam mit der LMU München Co-Creator von Stable Diffusion.
Auch wenn aktuell viele AI Startups mit ihren eindrucksvollen Technologie-Demos mächtig Buzz erzeugen, ist nicht immer so klar, dass sie auch die Chance haben werden, bestehende Unternehmen zu disruptieren.
Man sollte sich bei der Bewertung dieser Startups nicht allzu schnell blenden lassen, sondern sich genau anschauen, welche Position sie innerhalb der AI-Wertschöpgfungskette einnehmen und mit welcher Strategie sie am Markt agieren.
Mit den von mir beschriebenen Schablonen lässt sich zwar auch nicht die Zukunft voraussagen, aber doch ein bisschen genauer bewerten, wie die Chancen für Disruption jeweils stehen.
Diese Ausgabe war Teil 2 einer Serie von Artikeln, die ich aktuell zum Thema AI schreibe. Während ich vergangene Woche schon über den Trend Zielgenaue Personalisierung von B2B Software mittels AI geschrieben habe, geht es in den kommenden Wochen u.a. um:
AI-human collaboration → AI-first decision making
AI + atoms vs. AI + pixels
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Beste Grüße und bis nächste Woche!
Robbie
P.S.: Ich schreibe in diesem Newsletter nicht immer über AI. Aber das Thema ist so spannend, dass ich dazu gemeinsam mit zwei Freunden einen weiteren dedizierten Newsletter gestartet hab.
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