Interview mit Johannes Hötter - Co-Founder von Kern.ai
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Heute schließe ich meine Serie zum Thema AI ab. Und gleichzeitig folgt heute ein Novum in diesem Newsletter: Das erste Interview.
Auch wenn man in den letzten Wochen vor allem viele Schlagzeilen über amerikanische AI Firmen gehört und gelesen hat, gute Startups gibt es auch bei uns in Europa. Und eines der spannendsten Startups, dass ich in den letzten Monaten gesehen habe ist Kern.ai. Das Team entwickelt eine ganze Reihe von Open Source Tools, um Unternehmen jeder Größe zu ermöglichen, Natural Language Processing in ihre Prozesse zu integrieren. Vor wenigen Wochen konnte das Team eine Seed Runde von 2,7 Millionen € abschließen.
Was genau Kern.ai macht und wie das Startup auf den europäischen AI Markt blickt, habe ich Johannes Hötter - den Co-Founder & CEO gefragt:
Hi Johannes, in aller Kürze - was bietet Kern.ai?
Wir helfen Unternehmen, moderne Sprachverarbeitung (dazu gehören auch Texte) in ihre Prozesse und Produkte einzubinden. Dafür bieten wir eine "datenzentrische" Entwicklerplattform.
Wer steckt dahinter?
Henrik und ich (Johannes) haben zusammen am Hasso Plattner Institut in Potsdam Data Engineering studiert, und dort zunächst parallel zu unserem Master eine KI-Beratung gegründet. Das war recht breit gefächert in den Projekten (Computer Vision, NLP, klassiches ML, ...).
Jetzt, bei Kern AI, haben wir ein 10-köpfiges Team und sitzen in Bonn und Berlin. Unser Fokus liegt komplett auf NLP (Sprach- und Textverarbeitung).
Wie seid ihr auf die Idee gestoßen?
Wir sind zuerst mit einer Idee gescheitert, die wir vor unserem jetzigen Produkt hatten. Aus der Beratung kommend hatten wir die Vorstellung, einen No-Code NLP-Builder für Fachbereiche (ähnlich zu etwa Websitebuildern) zu bauen. Damit sind wir gescheitert, da a) die hochgeladenen Trainingsdaten nie hinreichend gut waren, und b) Fachbereiche nicht verantwortlich für den Bau einer KI sein wollten. KI hat durch diverse Kriterien (z.B. Blackbox, Fuzziness) eine höhere Komplexität als "reguläre Software", und so haben wir uns entschieden, Tooling für Entwickler:innen zu bauen, um datenzentrisch NLP-Modelle zu bauen. Nach ersten Projekten haben wir gemerkt, dass wir mit der Idee auf wesentlich bessere Ergebnisse kommen.
Warum habt ihr euch dafür entschieden, eure Software Open Source zur Verfügung zu stellen?
Trotz enorm guter erster Case Studies, die wir mit unseren frühen Nutzern erreicht haben, hatten wir große Schwierigkeiten, unsere User-Basis zu vergrößern. Nach einigen Konferenzbesuchen ist uns im Dialog mit potenziellen Anwender:innen aufgefallen, dass wir um Open Source als Distributionsmodell nicht herumkommen. Da wir sehr eng mit Endanwender:innen unserer Software arbeiten wollten (um etwa ein herausragendes Produkt nah am User zu bauen), war das für uns ein logischer Schritt, den wir keineswegs bereuen.
Wie sieht ein typischer Use Case für eure Software aus?
Der häufigste Use Case liegt in der Verarbeitung von Emails. Sprich es gibt etwa eine info@-Inbox, in der eingehende Mails kategorisiert und weitergeleitet werden sollen. Dazu kommt ggfs. dann auch die automatisierte Erstellung von Antwort-Entwürfen, etwa um im Kundenservice auf Fragen einer Kundin innerhalb kürzester Zeit eine Antwort zu haben (hierfür bieten wir eine kommerzielle Plattform, mit der etwa auch interne IT-Systeme per API angebunden werden können, um relevanten Kontext herstellen zu können).
Damit die dahinterliegenden Modelle verlässlich und planbar laufen, benötigt es saubere Trainingsdaten. Das zu ermöglichen ist eine Stärke unserer Plattform, indem wir etwa Entwickler:innen die Möglichkeit bieten, genau die Trainingsdaten aufzubauen, die für den eigenen Use Case relevant sind.
Liegt der Fokus nur auf Natural Language Processing (NLP)? Soll das in Zukunft so bleiben?
Ja, da wir fest davon überzeugt sind, dass NLP auch noch enorm wachsen wird - es hängt ja alles im Unternehmen von Kommunikation und somit Sprachverarbeitung ab. Es ist auch nicht so, dass Use Cases immer alleine aus NLP bestehen. Beispielsweise kann ein NLP-Modell aus einer Excel-Datei SEO-optimierte Produktbeschreibungen generieren. Bedeutet, NLP an sich ist unser Fokus und auch das, was wir besonders gut können - allerdings werden wir schauen, welche Use Cases am gefragtesten sind, und entsprechend unser Angebot ausbauen. Eine Ergänzung im Laufe dieses Jahres soll etwa auch die Dokumentenverarbeitung auf Basis von NLP werden.
Ihr konntet gerade eine 2,7 Mio. € Seed Runde abschließen. Glückwunsch! War es schwierig, Investoren von eurem Case zu überzeugen?
Danke! Wir haben die Runde angefangen zu raisen, als ChatGPT noch nicht war - ob es damit viel leichter noch gewesen wäre, weiß ich nicht. Allerdings glaube ich, dass wir recht spitz in die Thesen verschiedener Funds gefallen sind (data-centric AI, Entwicklertooling, commercial Open Source), und dann eben auch durch unsere Open Source Traction überzeugen konnten. Hand aufs Herz, "einfach" ist es glaube ich schon seit vielen Monaten nicht mehr, eine gute Runde zu raisen. Rückblickend bin ich aber sehr zufrieden damit, da wir es geschafft haben, unser Fundraising effizient zu gestalten. Wir konnten so etwa während der Fundraisingzeit weitere Produkte einführen.
Wie seht ihr Europa, und spezifisch Deutschland als AI Standort? Was läuft gut und was könnte noch besser laufen?
Ganz spitz sind natürlich die ganzen Diskussionen rund um Datenschutz und -ethik, wie etwa nochmals am AI Act oder aber auch generell DSGVO und ähnlichem erkennbar. Manches davon halte ich für zu eingrenzend im Blick auf die globale Einführung von KI-Technologien (Sprachmodelle dürfen auf keinen Fall verboten werden), über andere Punkte bin ich jedoch auch froh (etwa, dass es klare Datenschutzrichtlinien gibt, die im Sinne der Endverbraucher:innen liegen).
Es gibt außerdem aus unserer Sicht ein tolles Angebot für Startups, um AI Startups zu gründen. Das liegt daran, dass es auch viele Initiativen gibt, um etablierte Unternehmen mit Startups zu vernetzen. Wir haben etwa durch Programme wie xdeck oder das InsurLab viel gewinnen können.
Einzig der viel zu hohe bürokratische Aufwand in diversen Prozessen ist ein Punkt, den ich besonders negativ sehe. Als Gründer bin ich mit so vielen Themen beschäftigt, die in erster Linie gar nicht direkt damit zu tun haben, dass ich unserer Wirtschaft einen Mehrwert liefern kann. Das ist in anderen Ländern deutlich simpler.
Was sind eure nächsten größeren Vorhaben - wie wollt ihr eure Firma in den nächsten Jahren weiterentwickeln?
Wir wollen Unternehmen helfen, NLP noch weiter aus strategischer Sicht zu betrachten, da sich nun Unternehmen Fragen stellen wie "Was bedeutet ChatGPT für mein Unternehmen (kurz- und langfristig)?". Das bedeutet für uns, dass wir etwa die Zusammenarbeit zwischen Fachbereichen und Entwickler:innen weiter stärken wollen, etwa in Form dedizierter Use Cases, welche die Einführung von NLP deutlich einfacher gestalten. Es wird etwa bald einen Online-Playground für selektierte Use Cases geben. Darüber hinaus werden wir natürlich schauen, unsere bereits mächtige Entwicklerplattform weiter auszubauen.
Wie blickst du persönlich auf die aktuelle Entwicklung beim Thema AI - was begeistert dich am meisten? Gibt es etwas, das dich besorgt?
Ich freue mich sehr darüber, dass KI unfassbare Fortschritte in der Zugänglichkeit im letzten Jahr gemacht hat. Im Bereich der unstrukturierten Datenverarbeitung (Bilder, Texte, Audio, ...) waren es vor allem meist sehr technikaffine Personen, mit denen man sprechen konnte. Jetzt habe ich das Gefühl, dass wir mehr durch Ideen als durch Technologie limitiert sind. Und dann fängt es an, wirklich richtig spannend zu werden.
Wichtig ist mir, dass wir hier auch für Chancengleichheit sorgen. Ich habe vor ein paar Jahren mal einen Onlinekurs zu KI beim openHPI gegeben, und war überrascht, wie interessiert die breite Gesellschaft daran ist, neues Wissen zu KI anzueignen. Aufklärung ist denke ich einer der besten Wege, um zu einem guten Einsatz von KI zu gelangen.
In Summe blicke ich also optimistisch in die Richtung.
Ich bin sehr gespannt, wo die Reise für Kern.ai in den nächsten Jahren hingeht, glaube aber, mit ihrem Produkt treffen sie aktuell absolut in’s Schwarze und freue mich, dass bei all dem Hype um OpenAI & co. auch hier in Deutschland Gründer den Mut haben, solche Startups zu gründen!
Danke für’s Lesen und Danke an Johannes für das Interview!!
Beste Grüße und bis nächste Woche!
Robbie
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